Werkstattbericht über die Konservierung der Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof in Wankheim (Landkreis Tübingen)

Pressemitteilung Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, Praktische Bau-und Kunstdenkmalpflege

 

Die Konservierung der 137 Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof in Wankheim, initiiert vom Förderverein für jüdische Kultur Tübingen und begleitet vom Landesamt für Denkmalpflege (LAD) im Regierungspräsidium Stuttgart, steht kurz vor dem Abschluss und hat große mediale Aufmerksamkeit erhalten.

 

Um den Friedhof einerseits in seiner Gesamtheit und seinem Erscheinungsbild zu erhalten und andererseits den knappen personellen und finanziellen Ressourcen gerecht zu werden, wurden in Wankheim neue Wege beschritten: Aufgrund der großen Zahl von Grabsteinen und der unterschiedlichen Schadensbilder wurde ein „Ampelsystem“ entwickelt, welches die Maßnahmen entsprechend ihrer Dringlichkeit priorisiert. Grundlage hierfür war eine genau Bestands-, Zustands- und Schadenserfassung sämtlicher Grabsteine. Nach der Notsicherung einiger Grabsteine im September 2022 konnte im Frühjahr 2023 mit der Konservierung der Grabsteine auf dem Wankheimer Friedhof begonnen werden.

 

Der vom Förderverein für jüdische Kultur Tübingen und dem LAD organisierte Werkstattbericht auf dem Friedhof in Wankheim, fand gestern (22. September 2024) statt. Dabei wurden umfassende Einblicke in die Konzeption, das Vorgehen und die Verfahrensweisen der Konservierung eines aus 137 Einzelobjekten bestehenden Kulturdenkmals gegeben. Darüber hinaus wurde die restauratorische Praxis beleuchtet und die Finanzierung des Projekts thematisiert.

 

Auf jüdischen Friedhöfen ist eine Störung der Totenruhe durch Eingriffe in den Boden aus religiösen Gründen undenkbar. Die Aufrichtung, Hebung oder gar Neufundamentierung von Grabsteinen, die die Unversehrtheit der Gräber gefährdet hätte war, damit nicht möglich. Daher stand von Anfang an die Erhaltung des Status quo - also die Konservierung des Ist-Zustandes - als denkmalfachliches Ziel der Maßnahmen fest.

 

Auch wenn der Zustand der Grabsteine in Wankheim teilweise dramatisch war und dringend konservierende Maßnahmen erforderlich machte, so hätte eine kurzfristige Maßnahme an wenigen Objekten zwar zum Erhalt dieser Grabsteine beigetragen, aufgrund der beschränkten finanziellen Mittel aber nicht zum Erhalt des Friedhofs in seiner Gesamtheit und Erscheinung. Deshalb wurde in Wankheim auf die Bildung von „Bauabschnitten“ verzichtet. Stattdessen entwickelte das LAD ein System, das die Maßnahmen nach Dringlichkeit festlegt. Die Grabsteine wurden in drei Kategorien eingeteilt: unaufschiebbare Maßnahmen; mittelfristige Arbeiten (innerhalb der nächsten zwei bis fünf Jahre) und langfristige Erhaltungsmaßnahmen (in fünf Jahren). Für die Einordnung wurden spezifische Leitlinien erstellt.

 

Auch zukünftig sind kurzfristige Komplettrestaurierungen kaum realisierbar. Das „Wankheimer Modell“ könnte deswegen auch für andere jüdischen Friedhöfen in Baden-Württemberg von Interesse sein. Etwa zwei Drittel der etwa 55.000 zwischen 1990 und 2006 dokumentierten Grabsteine auf den 145 unter Denkmalschutz stehenden jüdischen Friedhöfen in der Region sind aufgrund ihres Alters, durch Bewitterung, klimatische Veränderungen, Schändungen und unsachgemäße Restaurierungen akut gefährdet. Jüdische Friedhöfe haben nicht nur religiöse Bedeutung, sondern sind auch bedeutende kulturelle und historische Zeugnisse. Sie zählen zu den letzten materiellen Überresten der einst reichen jüdischen Kultur in der Region, die im Nationalsozialismus ausgelöscht wurde. Darüber hinaus sind sie wichtiger Bestandteil der vielfältiger gewordenen Erinnerungskultur und Lernorte für uns alle.

 

Historischer Hintergrund

 

Der 1774 eingerichtete Friedhof in Wankheim ist der älteste jüdische Friedhof in den Landkreisen Tübingen und Reutlingen und steht, wie alle 145 jüdischen Friedhöfe in Baden-Württemberg, unter Denkmalschutz. Mit 137 Grabmalen aus drei Jahrhunderten gehört er zu den kleineren jüdischen Friedhöfen des Landes.

 

An den drei Grabfeldern, die durch Erweiterungen des Friedhofs in den 1860er Jahren und um 1900 entstanden sind, lässt sich nicht nur die Entwicklung der Wankheimer Gemeinde nachvollziehen, sondern auch der Wandel der Begräbniskultur einer jüdischen Gemeinschaft vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. Diese Veränderungen spiegeln die Wandlung von einer Landjudengemeinde hin zu einer städtischen jüdischen Gemeinde wider.

 

Nach der Auflösung der jüdischen Gemeinde in Wankheim im Jahr 1882 und dem Wegzug der letzten Jüdin fünf Jahre später, nutzten die jüdischen Gemeinden in Tübingen und Reutlingen den Friedhof weiterhin als Begräbnisstätte für ihre verstorbenen Gemeindemitglieder. Die letzte Beisetzung fand 1941 statt. Auf dem Friedhof befindet sich ein von Viktor Marx errichteter Gedenkstein, der an Familienmitglieder und Mitglieder der jüdischen Gemeinde Tübingens erinnert, die während der Zeit des Nationalsozialismus ermordet wurden.

 

Seit 2024 wird vor dem Friedhof mit einem Gedenkbuch des Künstlers Jochen Meyder den 56 Opfern der Shoah gedacht, die eine Verbindung zu Tübingen und Wankheim hatten. Dieses Denkmal wurde vom Landkreis Tübingen und der Gemeinde Kusterdingen initiiert.

 

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